Die Geister bleiben gebannt – wie Familie Bühlmann in einem über 700 Jahre alten Haus lebt

Im Kanton Schwyz wurden in den vergangenen Jahren einige Häuser aus dem Hochmittelalter teilweise illegal abgerissen. Doch es geht auch anders.

Erich Aschwanden (Text), Regine Giesecke (Bilder), Schwyz 7 min
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Die ursprüngliche Bausubstanz das Hauses aus dem Hochmittelalter wurde so weit wie möglich gerettet.

Die ursprüngliche Bausubstanz das Hauses aus dem Hochmittelalter wurde so weit wie möglich gerettet.

Wer das Wohnzimmer betritt, staunt zuerst einmal. Der Raum ist hell und grosszügig. Auch grössere Menschen müssen bei einer Deckenhöhe von 1,95 Metern den Kopf nicht einziehen. Es ist kaum zu glauben, dass die Stube in einem Haus oberhalb von Ibach im Kanton Schwyz 707 Jahre alt ist. Christoph Bühlmann kennt diese Reaktion. «Wenn man Mittelalter hört, denkt man fast automatisch an miefige, dunkle Zimmer. Doch schon damals gab es offenbar Bauherren, die eine Vorstellung davon hatten, wie eine schöne Wohnung aussieht», sagt der Besitzer des Hauses Oberschönenbuch 46.

Vor fünf Jahren, als das Ehepaar Bühlmann das alte Wohnhaus kaufen konnte, sah seine Gemütslage noch ganz anders aus. Trotz einer grossen emotionalen Verbundenheit. Es handelt sich um das Elternhaus von Miriam Bühlmann-Zgraggen. «Meine erste Reaktion war: Weg damit! Ich will nichts damit zu tun haben», sagt Christoph Bühlmann. Die Räume seien dunkel gewesen, die Böden mit einem hässlichen Spannteppich bezogen. Ausserdem habe er ständig gefroren. Schlechte Voraussetzungen also, um das unscheinbare Gebäude zu erhalten, das damals nicht unter Denkmalschutz stand.

Einmalige Kulturgüter zerstört

Abreissen und durch einen modernen Neubau ersetzen – für diese Lösung entscheiden sich viele Eigenheimbesitzer im Talkessel Schwyz. Obwohl bekannt ist, dass in dieser Gegend zahlreiche Wohnbauten stehen, die aus der Gründungszeit der Eidgenossenschaft stammen. Teilweise erfolgt die Zerstörung der historischen Zeugnisse illegal. So etwa 2022 in Illgau, wo ein aus dem Jahr 1305 stammendes Holzhaus bei Nacht und Nebel dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Schweizweit für Aufsehen sorgte das Schicksal des ältesten Holzhauses Europas, des Hauses Niederöst. Bis vor Bundesgericht wehrte sich der Schweizer Heimatschutz 2001 vergeblich dagegen, dass dieser Zeitzeuge mit Baujahr 1176 im Dorf Schwyz zum Abbau freigegeben wurde und einem Neubau weichen musste. Schliesslich wurde das wohl älteste Holzhaus Europas 14 Jahre später auf dem Gelände der Schlacht am Morgarten wieder aufgebaut. Authentisch ist an diesem Bau allerdings nicht mehr viel.

2013 wurde ein Ensemble von drei mittelalterlichen Holzhäusern aus der Zeit um 1300 im Dorfbachquartier in Schwyz abgerissen. Immerhin konnte die sogenannte Schwarze Stube als Ausstellungsobjekt im Forum für Schweizer Geschichte in Schwyz erhalten werden. In diesen und in anderen Fällen erfolgte der Abbruch mit dem Segen der Schwyzer Kantonsregierung. Geht es um die Abwägung Schutz des Privateigentums gegen Erhalt eines Kulturgutes, entscheiden die Behörden in der Regel für Ersteres.

Überraschung bei Untersuchung

Im kleinen Weiler Oberschönenbuch, wo sich die Bühlmanns schliesslich das Haus trotz allen Nachteilen kauften, stehen gleich mehrere Gebäude aus dem 14. Jahrhundert. Kein Wunder, bietet sich doch von hier ein wunderschöner Blick über die Talebene. Ausserdem besteht hier eine früher viel genutzte Weggabelung zum Dorf Schwyz, ins Urnerland und ins Muotathal. Einige der historischen Gebäude wurden von ihren Besitzern in den vergangenen Jahrzehnten mit eher weniger Liebe zur Vergangenheit renoviert.

Der moderne Anbau wurde aus Holz erstellt, das in den umliegenden Wäldern geschlagen wurde.

Der moderne Anbau wurde aus Holz erstellt, das in den umliegenden Wäldern geschlagen wurde.

Miriam und Christoph Bühlmann wollten Ähnliches vermeiden. Sie beauftragten über einen Architekten eine Bauarchäologin mit einer umfassenden Untersuchung. Man wollte nur eine Bohrung machen und stiess unvermittelt in die mythenbeladene Geschichte der Schweiz vor. Christoph Bühlmann erinnert sich noch gut an diesen Moment. «Wo sie ins Holz hineingebohrt hat, hat es immer noch nach Tannenholz gerochen. Das war sehr speziell.»

Die Analyse zeigte, dass die rund hundert Fichten und Tannen, die für den Bau verwendet wurden, im Winterhalbjahr 1316/1317 geschlagen und anschliessend saftfrisch verbaut wurden. Experten hatten das Alter des von aussen eher unscheinbaren Gebäudes vorher bloss auf 300 bis 400 Jahre geschätzt. Beim wohlhabenden Erbauer des Hauses Oberschönenbuch 46 könnte es sich um einen Conrad Schönbuch gehandelt haben. Er gehörte der politischen Führungsschicht an und verfügte über die notwendigen finanziellen Mittel, um ein für die damalige Zeit ausserordentlich grosses Gebäude mit einem Grundriss von 8,5 auf 10,5 Metern zu erstellen.

Das schützenswerte Wohnhaus wurde damit vor fünf Jahren auf einen Schlag zum Projekt. Nicht nur für die Bühlmanns. Die Schwyzer Denkmalpflege, die Architekten und nicht zuletzt die am Umbau beteiligten Handwerker mussten einerseits eine der ältesten und grössten mittelalterlichen Blockbauten erhalten. Andererseits wurde das in den vergangenen Jahrhunderten diverse Male umgebaute Haus so umgestaltet und renoviert, dass es zum lebenswerten Einfamilienhaus wurde. Keine einfache Angelegenheit, mussten doch zwei Wohngeschosse mit zehn Räumen und Kammern saniert werden.

Das Ergebnis gefällt nicht nur den Besitzern. «Es handelt sich um einen Glücksfall», sagt die Schwyzer Denkmalpflegerin Monika Twerenbold. «Man hat von Anfang an gespürt, dass die Besitzer Freude daran haben, dieses einmalige Zeugnis aus den Anfängen der Eidgenossenschaft zu erhalten.» Mittlerweile ist das Haus Schönbuch zum Vorbild geworden, wie man ein schützenswertes Wohnhaus erhalten kann, und hat mit 1316.ch sogar eine eigene Website.

Modernes Design und Bausubstanz aus dem 14. Jahrhundert ergänzen sich.

Modernes Design und Bausubstanz aus dem 14. Jahrhundert ergänzen sich.

Christoph Bühlmann weiss, dass Denkmalpflege und Heimatschutz bei der lokalen Bevölkerung nicht den besten Ruf geniessen. Immer wieder werde er von Bekannten gefragt, ob die Zusammenarbeit nicht mühsam gewesen sei. «Alle Beteiligten waren bemüht, unsere Ideen und Vorstellungen in ihre Arbeit aufzunehmen», erklärt er. «Unsere Maxime war, alles wieder so herzustellen, wie es ursprünglich ausgesehen hat.»

Grundsätzlich wollten die Bühlmanns den Kernbau erhalten, mehr Licht ins Wohnhaus bringen und eine zeitgemässe Wohnqualität erreichen. Diese Ziele konnten trotz allen Auflagen und Einschränkungen erreicht werden. Andere Ideen wie das Anbringen eines Balkons oder die Errichtung einer Tiefgarage liessen die Besitzer rasch und ohne Bedauern fallen.

Für Bühlmann, der Historiker ist, stellten sich im Verlauf der vergangenen fünf Jahre immer wieder knifflige Fragen. Wie gut sind die Balken erhalten? Was kommt wohl hinter dieser oder jener Wand hervor? Wie brauchbar sind die tragenden Elemente des Hauses? Und nicht zuletzt: Wie lässt sich ein Bauvorhaben mit so vielen Unbekannten überhaupt finanzieren?

«Viele Elemente und Zeichen der Volksfrömmigkeit wollten wir belassen. So zum Beispiel die Geisterbanndübel», erklärt Bühlmann. Dabei handelt es sich um kleine keilförmige Hölzchen, die abgebrannt und in Fugen und Schwundrisse des Blockhauses geschlagen wurden. Zur Abwehr von Bösem und Unheil wurden damit Gegenstände wie Messingperlen, Bronzeösen oder Kräuter und Beeren eingesperrt. «Wir haben die Geister gebannt gelassen, schliesslich hatten unsere Vorfahren ihre Gründe, das so zu machen», erklärt der Hausbesitzer. Auch Löcher, in die man Katzenhaare mit Blei einschloss, um damit den Teufel einzusperren, wurden ungeöffnet belassen.

Spuren des Feuers sichtbar

Schliesslich konnten die Bühlmanns vor etwas mehr als einem Jahr in ein rundum erneuertes Haus einziehen, in dem Alt und Neu auf harmonische Weise verbunden sind. Gut möglich, dass sie im ältesten Blockhaus in Europa leben, das seit dem Mittelalter ständig bewohnt war. So genau lässt sich dies aufgrund der Quellenlage nicht sagen. Allein die Familie von Miriam Bühlmann wohnt seit sechs Generationen in dem Haus.

Auf jeden Fall hat das Haus in den letzten Jahrhunderten viel erlebt. Die Entstehung der Eidgenossenschaft, die Pestzeit und weitere bewegte Zeiten. Beweisen kann er es zwar nicht, aber Christoph Bühlmann glaubt aufgrund von verschiedenen Quellen, dass das Haus während der französischen Besetzung im Jahr 1798 Offiziere der russischen Truppen General Suworows beherbergt hat.

Besonders beeindruckend sind die Decken in der Form einer verzierten Bohlen-Balken-Decke, und zwar in beiden Geschossen. «Wir staunen über die Präzision der Bautechnik, die millimetergenaue Zimmermannsarbeit», sagt Bühlmann. Ganz besonders ist auch der ehemalige Küchenbereich, wo früher die bis unters Dach offene Feuerstelle lag, die zum Kochen und Heizen benutzt wurde. Die Spuren des Rauchs, der durch die Schindeln des Dachs abzog, wurden wieder sichtbar gemacht.

Gelungen ist das Projekt auch deswegen, weil die Bewohner keineswegs auf Annehmlichkeiten verzichten müssen. Als Ergänzung zu den zwei Dritteln des alten Wohngebäudes wurde ein moderner Anbau errichtet. Eigentümer und Denkmalschutz einigten sich darauf, einen später hinzugekommenen Schopf abzureissen und durch eine zeitgemässe Holzkonstruktion zu ersetzen. Sämtliche Materialien stammen wie beim Hauptbau aus der engeren Umgebung. «Es ist ein gemeinsames Wachstum. Man zieht nicht in ein fertiges Haus, sondern muss für jedes Problem wieder eine eigene Lösung finden», beschreibt der Eigentümer die Vorgehensweise.

Die Räume mit einer verzierten Bohlen-Balken-Decke sind hoch und überraschend hell.

Die Räume mit einer verzierten Bohlen-Balken-Decke sind hoch und überraschend hell.

Das Wohnhaus, mit dem er früher fremdelte, ist für Christoph Bühlmann zu einer Oase im Alltag geworden, der ihn arbeitsmässig in die Stadt Zürich führt. «Eigentlich leben wir hier oben wie in einem Postkartenidyll. Es riecht im Sommer nach Heu, ausser dem heimeligen Gebimmel von Kuhglocken herrscht die absolute Ruhe. Wenn man drei Tage hier verbringt, fühlt man sich wie in den Ferien.»

Er und seine Frau möchten gerne etwas weitergeben von ihrer Begeisterung für die Rettung eines über 700-jährigen Holzhauses. Zusammen mit der Denkmalpflege haben sie an zwei Veranstaltungen im Schwyzer Bundesbriefmuseum über ihre Erfahrungen bei dem ungewöhnlichen Umbau erzählt. Das Interesse der Einheimischen war gross.

Ausserdem sind die Eigentümer Mitglied von Domus Antiqua Helvetica. Diese Vereinigung setzt sich für die Erhaltung und die Wertschätzung historischer Wohnbauten ein. Die rund 1500 Mitglieder sind Eigentümer oder mutmassliche Erben von schützenswerten Wohngebäuden – von Altstadthäusern und städtischen Reihenhäusern über Bauernhäuser oder Chalets bis hin zu Schlössern und Landsitzen.

«Es ist seltsam. Einerseits werden im Kanton Schwyz die alte Eidgenossenschaft und das Datum 1291 überhöht. Andererseits will man mit Häusern aus jener Zeit nichts zu tun haben», stellt Bühlmann fest, der selber in Schwyz aufgewachsen ist. Man wolle sich von der «Obrigkeit», also dem Denkmalschutz, nicht dreinreden lassen.

Haus soll zum Vorbild werden

«Das andere grosse Thema sind die zu erwartenden Kosten. Darauf werden wir immer wieder angesprochen», sagt er. Billig war das Vorhaben tatsächlich nicht. Letztlich kostete der Um- und Neubau einiges über eine Million Franken. Bund und Kanton haben sich an der Renovation des Kernbaus beteiligt. Der Kanton Schwyz hat rund 21 Prozent dieser Kosten übernommen, der Bund steuerte weitere rund 15 Prozent bei. «Bei einem solchen Bauvorhaben ist eine sehr sorgfältige Buchhaltung unerlässlich», betont Christoph Bühlmann.

Die Denkmalpflegerin Monika Twerenbold ist zuversichtlich, dass die gelungene Restaurierung eines Hauses aus dem Hochmittelalter Vorbildwirkung hat. «Wir haben gesehen, dass das Projekt Schönbuch allen Beteiligten Freude bereitet. Das wollen wir weitergeben.» Leider sei der Gedanke, dass der Impuls für die Erhaltung solch wertvoller Bauten am besten von den Besitzern ausgehe, in Schwyz noch nicht richtig angekommen. «Es gibt andere Beispiele, wie etwa im Binntal im Wallis. Dort spürt man als Besucher, dass die Erhaltung der Bausubstanz ein Herzensanliegen ist», sagt Twerenbold.

Bisher konnten in der Umgebung 65 Zeugen dieses innerschweizerischen Wohnbautyps dokumentiert werden. Wie viele noch hinter bestehenden Fassaden versteckt sind, kann Twerenbold nicht abschätzen. An Miriam und Christoph Bühlmann soll es nicht liegen, dass dieses Kulturgut für die Nachfahren erhalten bleibt.